Hand und Fuß

Das sommerliche Wetter bringt ja interessante Tatsachen ans Licht. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Manches bliebe besser ungesehen.

Füße und die damit verbundenen Fußnägel zum Beispiel. Und dabei sind es nicht nur die Männer, die hier ein schlechtes Beispiel abgeben. Um es mit den Worten des von mir so sehr geschätzten Jochen Malmsheimer zu sagen, werden wir nur allzu oft Zeuge, wie Zehen sich „wurzelgleich über die Birkenstock’sche Fußschweißwanne krümmen“, mit „Zehennägel wie Chipsletten“.

Kein schönes Bild.

Auch Frau kann hier Unansehnliches herzeigen.

Elisabeth hat zeit ihres Lebens immer sehr auf Hände und Füsse geachtet. So wurden die entsprechenden Utensilien für die Maniküre auf dem Tisch ausgebreitet, auf dem Schoß hatte sie ein frisches Handtuch. Elisabeth trug ihre Nägel stets kurz, manchmal dezent lackiert. Lange Fingernägel wiesen auf faule Menschen hin, die nicht in der Lage seien, ein Haus zu führen, so ihre Meinung. Auch darüber hinaus schienen ihr Menschen mit überlangen Nägeln verdächtig und charakterschwach. Aber nicht nur bei sich und den Familienmitgliedern wurde auf Hände und Füße geachtet. Auch im Umfeld. Dies hatte eine fast bedenkliche Komponente. So nahm sie mit Menschen, die sich ihr vorstellten, immer erst in der zweiten Millisekunde Blickkontakt auf. Die erste wurde genutzt, um einen Blick auf die Hände des Gegenübers zu werfen. Gefielen diese, so hatte der neue Gast gute Chancen, ein zweites Mal eingeladen zu werden.

Nie werde ich vergessen, wie wir Anfang der achtziger Jahre eine Reise nach London unternahmen. Mit dem Zug. Im Abteil saß uns ein junger Mann gegenüber, der in der Nase bohrte. Aber nur für kurze Zeit, denn schnell spürte er den stahlharten Blick von Elisabeth und stellte die Ausgrabungsarbeiten unverzüglich ein. Wenn sie von der Zugfahrt und von dem jungen Mann im Abteil erzählte, so war es nicht nur die Tätigkeit, die sie abstoßend fand, sondern besonders seine Hände. Hier fiel mal wieder so ein berühmter Familiensatz: „Der hatte vielleicht unsympathische Hände“.

In der Tat können Hände unsympathisch sein. Und oft erzählen sie uns mehr über unser Gegenüber als die Augen. So geben sie Auskunft über Herkunft und Alter, und das ungeschönt, egal wie sehr der Schönheitschirurg auch im Gesicht gewütet hat.

Elisabeths Hände waren erstaunlich klein, Handschuhgröße 5. Mit zarten, schmalen Fingern, auch nach 60 Jahren Haus- und Gartenarbeit. So wurde auch immer zum Thema gemacht, wer wessen Hand geerbt hat. Ich darf mich glücklich schätzen, ihre Handform geerbt zu haben in einer größeren Ausführung. Ernst hatte eine kräftige, schön geformte Männerhand, geprägt von harter körperlicher Arbeit, aber bis ins hohe Alter formschön. Sein Händedruck war fest und trocken. Waren seine Hände sympathisch? Durchaus, wie sonst hätte er bei Elisabeth landen können. Bruder 1 hat diese Hand in einer von weniger körperlicher Arbeit beschaffenen Variante geerbt. Bruder 2 hat Pianistenhände mit langen, schmalen Fingern, die sympathisch, aber nicht eindeutig zuzuordnen waren. Ein Mirakel. „Miesenheimhände“, wie Elisabeth konstatierte.

Und so kann auch ich nicht umhin, die Hände, und wenn ich dieser ansichtig werde, auch die Füße meines Gegenübers immer in die Betrachtung und Begutachtung mit einzubeziehen. In der Verhaltensbiologie nennt man das Prägung.